Liebe, Vergeltung am Tod

Philip Roths kleiner bedeutender Roman „Das sterbende Tier“ (2003)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Worum geht es in dem kleinen Roman „Das sterbende Tier“? Um die Liebe, die Literatur und die Juden. Das aber sind bei diesem Autor nicht etwa drei verschiedene Themen, vielmehr ist es ein einziges: Denn er, der Jude Philip Roth, erzählt in der Regel von jüdischen Intellektuellen, die verliebt sind – in Frauen und in die Literatur. Das läßt sich noch knapper sagen: Sie sind in das Leben verliebt. Dabei vermeidet er es – um es etwas überspitzt auszudrücken –, Literatur und Leben zu unterscheiden. Für ihn ist nicht nur die Literatur ein Echo des Lebens, sondern auch das Leben letztlich ein Abglanz der Literatur.

Dieser Philip Roth – schreibt der immer über Juden? Ja, so ist es: über ihre Größe und Erbärmlichkeit, ihre Triumphe und Niederlagen, ihre Leiden. Er erzählt von jüdischen Individualisten, denen es nur selten oder überhaupt nicht gelingt, sich mit ihrer Identität abzufinden, und die, mögen sie auch so erfolgreich sein wie er selber, der Autor Roth, dennoch mit sich und der Welt hadern: Sie haben ein gebrochenes Verhältnis zu den Menschen ihrer Umgebung und gehen daher allen auf die Nerven.

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Aus Marcel Reich-Ranicki: Über Philip Roth. Hg. von Thomas Anz. Sonderausgabe von literaturkritik.de. Verlag Literaturwissenschaft.de Marburg