VOM STAMME JENER, WELCHE LIEBEN, WENN SIE SCHREIBEN

(1983)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Dieses Buch beginnt mit einer Unwahrheit. Dennoch kann man ihm Mangel an Ehrlichkeit oder auch nur Unaufrichtigkeit nicht vorwerfen. Es endet mit einem Kniefall. Indes besiegelt er nicht eine Niederlage, sondern einen schwer erkämpften Sieg. Das Ganze besteht aus essayistischen Arbeiten, aus Reden und Aufsätzen. Gleichwohl erinnert es an einen Novellenzyklus, dessen einzelne Stücke zwar von verschiedenen Personen erzählen, doch insgeheim einen gemeinsamen Helden haben. Es ist Martin Walser, der Autor dieser ungewöhnlichen Liebeserklärungen.

»Ich lese nicht zu meinem Vergnügen, ich suche weder Entspannung noch Ablenkung, noch andere Freuden dieser Art.« Wozu liest er also? »Ein Buch ist für mich eine Art Schaufel, mit der ich mich umgrabe.« Dann hören wir, daß ihm das Lesen –vorausgesetzt freilich, es handelt sich um »dieses Herumgraben in mir selbst« – oft doch Vergnügen bereite, ja sogar mehr Vergnügen als das Atmen.[1] Das alles mag aufschlußreich sein. Aber ich glaube davon kein Wort.

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